Uu Kanata! nangmini nunavut! - Ein Erfahrungsbericht aus Kanada

nine Team Okt 2, 2016

Mein Aufenthalt in Kanada ist leider vorbei. Ich hatte die Ehre als erster Mitarbeiter von nine.ch - quasi als Pionier - in die Weiten Kanadas zu reisen.

Es war eine eindrückliche und spannende Zeit, die mich ab und zu vor kleinere Herausforderungen stellte, mich aber als Mensch wieder ein Stück voranbrachte.

Kanada ist ein sehr aussergewöhnliches Land, das der Schweiz recht ähnelt und welches ich schnell ins Herz geschlossen habe. Wir kennen die Wälder und Bäume, die vielen Flüsse und Seen und ebenso teilen beide Länder die westliche Kultur und deren Werte. Das macht es einem recht einfach, sich einzuleben.  Wobei es natürlich auch in Kanada Eigenheiten gibt, mit denen man sich erst mal vertraut machen muss. Nachfolgend einige Beispiele - oder wie ich auch gerne sage: “Tajno und die grosse Welt in Kanada.”

##Einkaufen Zu Beginn erkundete ich die hiesigen Supermärkte. Der nordamerikanische Kontinent zeigt innerhalb kurzer Zeit eindrücklich, wieso diese Mekkas des Detailhandels effektiv “Super”-Märkte heissen. Die Läden sind enorm und es ist leicht nachvollziehbar, weshalb Google mit der Indexierung von Gebäuden via Streetview begonnen hat. So manches Mal hätte ich mir die Tastenkombination “CTRL+F” zur Suche im Supermarkt gewünscht. Sobald man sich jedoch ein wenig eingelebt hat, kann man durch die vielfältige Auswahl beinahe jedes Produkt im soeben betretenen Geschäft finden.

Ein kleines Stückchen Heimat gab es für mich in jedem grösseren Supermarkt in Form von Lindt-Schokoladentafeln. Und auch wenn ich kein grosser Fan dieser Marke bin, muss ich gestehen, dass die kanadische Schokolade einfach nicht mit unserer mithalten kann. Gleiches gilt im Übrigen für Käse: nicht das dieser schlecht wäre - in Kanada erhält man guten kanadischen Käse. Dennoch erwischte ich mich beim Einkauf von originalem Tilsiter, Gruyère oder auch Emmentaler. Also wieder einmal Made in Switzerland. Nebenbei gesagt sind Bioprodukte in Kanada wesentlich teurer als bei uns, z.B. kostet 1 Liter Biomilch von Kühen umgerechnet ca. CHF 4.00.

##Nahverkehr Auch lernte ich den öffentlichen Nahverkehr “kennen”. Wie die Weiten Kanadas es eben implizieren, sind die Menschen hier gewöhnt, eigene Fahrzeuge zu haben. Dies ist auch an den Preisen erkennbar - ein PickUp kostet hier ungefähr gleich viel wie bei uns ein Kleinwagen. Meine ersten Blicke durch die Quartierstrassen bestätigten meine Befürchtung - vor jedem Haus standen mindestens 2 Autos. Ich ahnte es bereits - ohne Auto bin ich hier verloren.

Und das wurde klar bestätigt. Schneller als gedacht, lernte ich so den Unterschied zu unserem öffentlichen Verkehrssystem in der Schweiz kennen. Ausserhalb der Stosszeiten, welche in der Regel früher als in Zürich beginnen, fährt der lokale Bus alle 60 - 90 Minuten. Wartehäuschen sind eine Ausnahme und das Warten bei -5 Grad und Nieselregen waren daher nicht gerade ein Genuss. Auch die Haltestellenschilder sind eine Herausforderung, da teilweise nicht existent oder nur mit einer 5 cm breiten Tafel markiert. Ohne mein Smartphone wäre ich diesbezüglich aufgeschmissen gewesen. Die wenigen ausgehängten Fahrpläne stammen aus dem Jahr 2013 und der Online-Fahrplan funktioniert selten für Fahrten, die mehr als sechs Stunden im Voraus geplant werden wollen. Hinzu kommt, dass die Busse gern einmal fünf Minuten früher oder später fahren. Und auch, dass diese einfach an Wartenden vorbeifahren, gehört dazu denn - Kanadier brauchen eben keinen Nahverkehr.

Die Mitfahrer im Bus selbst waren in der Regel allesamt Studenten, da sich in Kelowna die regionale Universität befindet, die viele Studenten aus der ganzen Okanagan Region anzieht. Dazu hatte man vormittags Senioren und gegen Abend angeheiterte, aber stets freundliche Fahrgäste.

##Menschen Die Aussage, dass Kanadier die freundlichsten Menschen der Welt sind, kann ich absolut bestätigen. Die Menschen hier begegnen sich alle mit viel Respekt und Freundlichkeit. Teilweise wurde ich - trotz der grösseren Region (ca. 300’000 in Okanagan) mitten auf der Strasse gegrüsst.

Gerade in meiner Anfangsphase in Kanada gibt es hierzu folgende Anekdote: Beim Einkaufen stand ich mit fünf Tüten vollbeladen an der Kasse. Eine Seniorin kam auf mich zu und fragte mich entrüstet, wie ich mit diesen Tüten gedenke nach Hause zu fahren. Meine Erklärung, dass ich den Bus nehme, behagte ihr überhaupt nicht. “That’s not possible with all those bags! Where do you live? I wanna drive you home! No, you should not take the bus with that amount of bags!”. Ich musste die Dame sehr überzeugen, dass sie mich mit dem Bus nach Hause fahren liess. Das war eine der vielen freundlichen Gesten, die ich in Kanada erleben durfte. Und diese Freundlichkeit hätte ich gerne mit nach Hause genommen.

Eine weitere Anekdote war Folgende: Am Anfang verfuhr ich mich natürlich mit dem Bus und düste dann eine schöne 40-minütige Runde um die halbe Stadt ehe ich meine Schmach eingestand und mich beschämt an die Busfahrerin wandte. In Erwartung einer gewohnten grummeligen Busfahrer-Reaktion, wurde ich jedoch überrascht. Die Busfahrer sind allesamt extrem freundlich und hilfsbereit. Meine Busfahrerin erklärte mir alles, was ich wissen musste und wollte mich zusätzlich noch an einer Querstrasse ohne Haltestelle absetzen. Den Tipp, mich bei Fragen jederzeit an den Busfahrer zu wenden, gab sie mir noch dazu. “Ask your driver” war das Credo.

Eine weitere Besonderheit an die ich mich gewöhnen musste - beim Einsteigen in den Bus grüsst man den Fahrer und beim Aussteigen bedankt und verabschiedet man sich. Dies gehört hier zum guten Ton und wird einfach von jedem gemacht. Zuerst ungewohnt, danach eine Freude! Ich stieg jedes Mal mit einem Lächeln aus dem Bus aus. So etwas motiviert grundsätzlich, aber dennoch war ich froh, als ich bald ein eigenes Auto hatte.

##Umgebung Um ausserhalb der Stadt etwas zu sehen, braucht man ohne Zweifel ein Auto. In Kanada gibt es keine Postautos, die auf jeden Hügel oder in jedes Dorf fahren. Zwar verfügt Kanada über ein breites Bus-Fernfahrer System (Grey Hounds), aber dies  zieht sich “nur” von Stadt zu Stadt. Um etwas mehr von der Natur zu sehen, war also ein Auto notwendig.

Und so lernte ich dann die Weite Kanadas und Ihre Bedeutung kennen: Bei einem “Tagesausflug” fuhr ich an einem Tag 900 Kilometer mit dem Auto, ging dazwischen 2 Stunden mit dem Kanu paddeln und wanderte ca. 12 Kilometer am See entlang. Ein vermutlich erfolgreicher, typisch kanadischer Tag. Die Weite und die unberührte Natur sind unglaublich atemberaubend. Mehrmals stand ich überwältigt von dem Panorama auf einem Berg, einer Lichtung oder an einem See und genoss die absolute Stille, lauschte nur dem Klang der Vögel oder dem Rauschen eines Wasserfalls und atmete tief durch. Solche Momente machen Kanada wohl zu dem Paradies, dass man sich vorstellt.

Und das wird es auch sein, was ich sehr vermissen werde. Ich habe mich in die weiten Wälder und die unendlichen Möglichkeiten, darin seine Seele baumeln zu lassen, verliebt. Die Möglichkeit seinen Kopf frei zu bekommen, alleine zu sein und den Körper mit naturbehafteter Energie zu laden - das wird mir in der Schweiz fehlen. Ich kann jeden, der nach Kanada auswandert, vollkommen verstehen. Ein solch wunderbares Land, mit herzlichen und freundlichen Leuten und einer atemberaubenden Natur, in dem man sich sofort wohl fühlt, muss man einfach mögen.

Mit einem wehmütigen und leisen “O Canada - Our Home and native Land” (“Uu Kanata! nangmini nunavut!” auf Inuktitut, der Eskimo-Sprache) verabschiede ich mich von dir und bedanke mich bei dir und nine.ch für eine einmalige und unvergessliche Zeit.